"BIAR SOIN CIMBARN" - Beitrag aus 2011

Heute ist die Gesellschaft bereit, vom Aussterben bedrohte Lebewesen zu schützen, alten Baubestand nicht mehr kritiklos abzureißen und das Zurückgehen eines Idioms zunächst zu bemerken und dann versuchen zu retten, was möglich ist. Aber auch Initiativgruppen zur Rettung von Sprachen können den Untergang nicht stoppen. Die Entscheidung liegt einzig und allein bei jenen Menschen, um deren Muttersprache gerungen wird“, so schreibt Karin Heller in der Einleitung zum Buch „’s alte gatotterach in Robaan“ („Plaudereien aus Roana“). In diesem Buch sind zimbrische Texte aus Roana auf der Hochebene von Asiago-Sleghe gesammelt und bearbeitet.

Aufschrift am Zimbrischen Kulturinstitut in Robaan-Roana (Sieben Gemeinden)

Aufschrift am Zimbrischen Kulturinstitut in Robaan-Roana (Sieben Gemeinden)

„Zimbern“, ein vielschichtiger Begriff

„Biar soin Cimbarn“, das ist auch der Titel einer Musikkassette aus Lusern. Gleich zu Anfang stellt sich die Frage nach der richtigen Schreibweise des Wortes „Zimbern“, denn zahlreiche Varianten kommen vor: Zimbern, Zimbarn, Cimbarn, Tzimbarn, Kimbern. Meiner Meinung nach hat jede Variante ihre Berechtigung, denn es gibt keine verbindliche Rechtschreibregel. Sogar die Gemeinschaften selbst gebrauchen für das Wort „zimbrisch“ und ihre Sprache unterschiedliche Begriffe: Bei den Sieben Gemeinden spricht man u. a. vom „gaprècht von siban pèrghen“ („Sprache von Sieben Bergen“), bei den Dreizehn Gemeinden im Veronesischen von „taucias gareida“ („Deutsche Sprache“) und in Lusern sagt man „reida as bia biar“ („Reden so wie wir“). Über die Herkunft dieses Volkes gibt es eine Vielzahl von Theorien, abenteuerliche Behauptungen und seltsame Vermutungen wurden in die Welt gesetzt, erfundene Geschichten wurden als wahre Ereignisse angesehen, sogar mancher Gelehrtenstreit wurde ausgetragen, und heute noch geistern die sonderbarsten Meinungen umher. Inzwischen hat sich die Theorie gefestigt, dass es sich bei den Zimbern um Menschen bayerischer Herkunft handeln könnte. Übrigens: Die Bezeichnung „Zimbern“ stammt nicht von den Zimbern selbst, sondern wurde vor allem von italienischen Historikern erfunden und geprägt, da sie mit diesen Resten von „teutonici“ meist nicht recht viel anzufangen wussten.

Grafik: Siedlungsgebiet der Zimbern

Grafik: Siedlungsgebiet der Zimbern

Die Zimbern in Zahlen

Bernhard Wurzer schreibt in seinem Buch „Die deutschen Sprachinseln in Oberitalien“, dass gegen Ende des 15. Jahrhunderts der gesamte Bergrücken zwischen Etsch und Brenta von deutschsprachiger Bevölkerung besiedelt war; an die 20.000 Menschen sollen es gewesen sein. Im Laufe der Jahrhunderte schrumpfte diese Bevölkerung auf drei kleine Gemeinschaften zusammen, und heute bilden nur diese allein die drei zimbrischen Sprachinseln:

– Die Sieben Gemeinden auf der Hochebene von Sleghe-Asiago;
– Die Dreizehn Gemeinden in den Lessinischen Alpen nordöstlich von Verona;
– Lusern auf der Hochebene von Lafraun-Lavarone.

Unverständlicherweise gibt es Autoren, die auch das Fersental und Plodn-Sappada zu den zimbrischen Gemeinschaften zählen. Allein schon aus sprachwissenschaftlicher Sicht sind solche Behauptungen keinesfalls haltbar.
Bezüglich der Zahl der Zimbern kann es sich nur um Schätzungen handeln, denn offizielle Zählungen gibt es nicht. Aber auch über die Schätzungsmethoden gibt es keine verbindlichen Regeln. Soll man alle Menschen mit einbeziehen, die sich als Zimbern erklären? Oder nur jene, die tatsächlich in den Sprachinseln leben? Oder all jene, die irgendwelche zimbrische Sprachkompetenz haben? Oder auch all jene, die auf ferne zimbrische Wurzeln zurückgreifen können? Nur eines ist sicher: Wenn man lediglich die Anzahl der Aktivsprecher zusammenzählt, dann ist die Situation durchaus dramatisch.
Vor einigen Jahren fragte ich einen Freund aus Ljetzan, wie viele Zimbrisch-Sprecher es in seinem Dorf gäbe. „Vier botan vier hente“ (vier mal vier Hände), lautete die Antwort. Genauso wenige Sprecher trifft man in den Sieben Gemeinden. Lusern hat kaum 300 Einwohner. Zusammengezählt kommt man also auf etwa 400 Personen, die im Alltag mit den archaischen zimbrischen Sprachformen konkret noch etwas anfangen können, und das weltweit, wohlgemerkt! Das Zimbrische fällt somit in jene Gruppe der 6000 Sprachen, die laut Unesco-Erhebung vom Aussterben bedroht sind.

Sprache oder Dialekt?

Am Ende einer Tagung mit Sprachinselvertretern hat mir jemand die Frage gestellt, warum ich für „Zimbrisch“ die Bezeichnung „Sprache“ verwende, es handle sich doch lediglich um einen deutschen Dialekt. Es bedurfte einiger Überzeugungskünste, um plausibel zu machen, dass es sich um „Sprache“ handelt, wenn auch um eine Sprache mit mittelalterlichen Formen. Über das Sprachinseldeutsch wird die breite Meinung vertreten, dass dieses „Deutsch“ im Spätmittelalter sicherlich Teil des gesamten deutschen Sprachraumes gewesen war. Während sich anderswo das spätmittelalterliche Deutsch weiterentwickelt hat, ist es bei den Sprachinseln einfach stehen geblieben. Das kann zum Beispiel am Wort „Geselle“ verdeutlicht werden: In einer Handschrift aus dem 13. Jahrhundert heißt es „kume, kum, geselle min“. Mit „Geselle“ war der Freund gemeint. In den Sprachinseln verwendet man für „Freund“ heute noch Begriffe wie „Khselle, mai ksell, tschell usw.“ und für Freundschaft einfach „Khsellekhot“. Auch in der seriösen Fachliteratur von heute wird das Sprachinseldeutsch nicht als Dialekt, sondern als Sprache bewertet. Im Sprachinseldeutsch verwendet man dafür durchwegs den Begriff „tzunga“.

Hat Zimbrisch eine Zukunft?

Darüber gehen die Meinungen auseinander. Die einen meinen, jede Mühe um die Erhaltung der Sprache sei ein unnützes Unterfangen, andere wieder meinen, die Sprache werde so lange am Leben bleiben oder könne sogar revitalisiert werden, solange Menschen sich darum bemühen. Also hänge es in erster Linie davon ab, welchen gesellschaftspolitischen Stellenwert die Sprache hat, in der Politik, bei den Institutionen, in der Gemeinschaft selbst. Dem kann man nur zustimmen. Zum Schutz der Minderheitensprache gibt es Bestimmungen auf europäischer, auf staatlicher wie auf lokaler Ebene.
In der Charta über den Schutz der Regional- und Minderheitensprachen hat Europa Grundsätze über den Schutz von Sprachen ausgegeben; selbstverständlich sind, ohne sie ausdrücklich zu nennen, auch die kleinsten Minderheitensprachen wie das Zimbrische mit eingeschlossen. Die konkrete Auswirkung hingegen ist eher bescheiden, auch da Italien zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Berichtes die Charta noch nicht ratifiziert hat. Das italienische Staatsgesetz Nr. 482 aus dem Jahr 1999 zum Schutz der historischen Minderheiten nennt die Zimbern nicht ausdrücklich, sie fallen aber unter den Sammelbegriff „germanici“. Gerade dieses Gesetz hat die Gründung des Sprachinselkomitees ermöglicht und schaffte somit rechtliche Voraussetzungen für einen kulturellen Neubeginn nicht nur bei den Zimbern, sondern auch bei allen anderen Sprachinseln.
Auf lokaler Ebene genießen die Zimbern in der Autonomen Provinz Trient (Lusern) brauchbare Schutzmaßnahmen, für jene im Veneto ist kaum etwas vorhanden; dort sind sie immer noch mehr oder weniger auf sich allein gestellt. Schließlich kommt erschwerend hinzu, dass die Ortssprache außerhalb der Gemeinschaft kaum oder gar nicht verwendbar ist; es darf auch nicht vergessen werden, dass sie keine Wirtschaftssprache und schon gar keine Wissenschaftssprache ist. Aber trotzdem:

Gekreuzigter, hergestellt aus Granatsplittern aus dem Ersten Weltkrieg, Künstler Max Nicolussi Castellan Galeno, Dokumentationszentrum LusernDie Zimbern stecken viel Energie in die Erhaltung und Förderung ihrer Sprache und Kultur. Denken wir an die große Menge von Publikationen wissenschaftlicher oder volkskundlicher Natur, an zahlreiche Sprachkurse für Kinder und Erwachsene, um mit den alten Sprachformen wieder umgehen zu lernen, an die verschiedenen Periodika wie Kalender und Zeitschriften, in denen man viele Sprachbeispiele finden kann, an das Herstellen und Ausstrahlen von Radio- und Fernsehsendungen, an das Verfassen von Kinderbüchern, von Kartenmaterial und Unterrichtshilfen. Schließlich zeigen die Zimbern wieder den Mut, bei den Veranstaltungen und Ereignissen ihre Sprache zu verwenden. Zudem wird das Zimbrische auch in Orts- und Straßenbezeichnungen sowie in der Werbung verwendet. Die Sprache wird sichtbar gemacht, ein Zeichen dafür, dass man sich der alten Sprache nicht mehr schämt, nicht nur: Man fühlt sich der eigenen Sprache und Kultur verbunden, man ist stolz auf sie. Die einzelnen zimbrischen Gemeinschaften mühen sich nun auf ihre ganz spezifische Weise für ihre Sprache und ihre Kultur ab, wobei sie von den gegebenen Voraussetzungen ausgehen müssen, die nun einmal ganz unterschiedlich sind, aber ihr gemeinsames Anliegen ist vom Leitspruch „Biar soin Cimbarn“ geprägt.

 

 

 

Gekreuzigter, hergestellt aus Granatsplittern aus dem
Ersten Weltkrieg, Künstler Max Nicolussi Castellan
Galeno, Dokumentationszentrum Lusern

De Siban Komàüne (Die Sieben Gemeinden)

„Sleghe un Lusaan, Ghenebe un Vüütze, Ghèl, Ròtz, Robaan. Diise saint siban alte komàüne, Prüdare liiben“; (Asiago, Lusiana, Enego, Fotza, Gallio, Rotzo, Roana) so stand es jahrhundertelang am ehemaligen Verwaltungssitz (Reggenza) in Asiago-Sleghe geschrieben. Unter der Republik Venedig genossen die Sieben Gemeinden ein hohes Ausmaß an Selbstverwaltung. 1807 machte Napoleon der Regierung der Sieben Gemeinden ein gewaltsames Ende. Zwar sind seit damals über 200 Jahre vergangen, aber der Wunsch nach Selbstverwaltung scheint immer noch wach zu sein. So ist auch das Referendum aus dem Jahr 2007 für einen Anschluss an die Autonome Provinz Trient zu verstehen. Auf der Hochebene finden sich viele Menschen, die sich ausdrücklich als Zimbern bekennen, obwohl der Umgang mit der zimbrischen Sprache im konkreten Alltagsleben manchmal etwas zu wünschen übrig lässt. Trotzdem: „Biar sain zimbarn.“

Heute wird nachgeforscht, wie es mit der Sprache früher war, wie der Alltag und das kirchliche Leben gestaltet wurden, welche Experten sich mit dem Zimbrischen befassten oder es heute tun, was man unternehmen kann, um das sprachliche Erbe aus dem Schlaf zu wecken, um Sprachformen wieder zu erlernen und sie schließlich weiterzugeben. Aus den Sieben Gemeinden stammt das älteste überlieferte zimbrische Sprachdenkmal in gedruckter Form. Es handelt sich dabei um den Zimbrischen Katechismus aus dem Jahr 1602, der auf Geheiß des Bischofs von Padua entstand. Dieser meinte dazu, dass die Menschen auf der Hochebene, die noch keine Kenntnis der italienischen Sprache hätten, nicht um das Wort Gottes gebracht werden sollten und dass somit das Wort Gottes in die angestammte deutsche Sprache übersetzt werden sollte. So heißt es im Katechismus auf Zimbrisch: Ghedenke zo Haileghen die vairtaghe (Du sollst die Feiertage heiligen). Net kut falschen ghezèughen (Du sollst kein falsches Zeugnis geben). Mit der zimbrischen Sprache und Kultur der Sieben und Dreizehn Gemeinden hat sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der oberpfälzische Sprachforscher Johann Andreas Schmeller eingehend befasst. Sein Werk „Über die sogenannten Cimbern der VII und XIII Communen auf den Venedischen Alpen und ihre Sprache“ ist immer noch das große Standardwerk zur Zimbernforschung. Inhaltlich handelt es sich vor allem um Barockdichtungen, religiöse Texte, um Anleitungen und Belehrungen und um eine Grammatik, später dann auch um ein Wörterbuch. Im Zuge der Neubesinnung auf die zimbrischen Wurzeln versucht man es heute auch mit sprachlichen Neuschöpfungen, erdacht und zusammengetragen vor allem von älteren Menschen, die des Zimbrischen noch mächtig sind. Der Computer zum Beispiel ist bei den Zimbern heute dar zeelar (der Zähler). Nicht nur das, man versucht der Sprache auch Sichtbarkeit zu verleihen. Beredtes Beispiel dafür ist wohl die Ausgabe von Bankschecks der örtlichen Raiffeisenkasse mit dem Spruch: „Gadénkatach hörtan: leeban, arbatan, gabìn  nan, spaaran in de rèchtekot“ (Denken Sie immer daran: leben, arbeiten, verdienen, sparen in Gerechtigkeit). Und neben dem Eingangstor in das Zimbrische Kulturinstitut kann man lesen: „Haus dar ögnarn hòmelsen Bissekhot“ (Haus unseres heimischen Wissens). Natürlich finden die Zimbern auch in Bayern ihre ideelle Unterstützung. Zu erwähnen wäre da allemal das Curatorium Cimbricum Bavarense. Aktives Mitglied dieses Curatoriums war bis zu seiner Papstwahl Joseph Kardinal Ratzinger, der auch heute noch keine Gelegenheit auslässt, um neben Latein auch sein geliebtes Bayerisch oder sogar auch ein bisschen Zimbrisch zu sprechen. Was lag näher, als dem Papst zu seiner Wahl zu gratulieren. Das liest sich dann so:

Papst-Glückwunsch 

Der Papst hat seinen zimbrischen Freunden auch prompt geantwortet. Es gibt in den Sieben Gemeinden auch heute noch zwei Priester, die die Sprache beherrschen und die heilige Messe in Zimbrisch feiern, wozu nach dem II. Vatikanischen Konzil extra ein zimbrisches Messbuch geschaffen wurde. Selbstverständlich wird Zimbrisch in Abendkursen für Erwachsene weitergegeben, Liedermacher werden besonders gern in Zimbrisch gehört, im Rahmen des Möglichen wird die Sprache auch in der Schule gelehrt. Dies alles sind Versuche, wenn auch bescheidene, kulturelles Gut für die Gemeinschaft zu erhalten und weiterzugeben.

Zimbrische Spuren aus den Sieben Gemeinden im Cansiglio

Die Gemeinschaft im Cansiglio – das ist ein Gebiet südöstlich von Belluno in der Nähe von Ponte negli Alpi – hat sich durch eine Gruppe von „Auswanderern“ aus den Sieben Gemeinden zu Beginn des 19. Jahrhunderts gebildet, als Napoleon jahrhundertealte Rechte außer Kraft setzte. Abgeschieden haben sie seither gelebt, die Zimbern des Cansiglio. Die zimbrische Sprache ist ausgestorben, nur wenige Menschen leben in der einsamen Gegend. Geblieben ist ein altes Handwerk: das Fertigen von Holzspanschachteln. Der Arbeitsgang zwischen dem Begutachten des zu fällenden Baumes und dem Endprodukt „Holzspanschachtel“ ist eine Wissenschaft für sich, auch weil der gesamte Arbeitszyklus ohne moderne Maschinen erfolgt. Die Schachteln werden auf Festen, Märkten und in Geschäften zum Kauf angeboten. Es gibt auch noch ein paar bescheidene kulturelle Initiativen, man versucht soweit als möglich alte Baustruktur wiederzugewinnen, aber zu klein scheint die Gemeinschaft, um lange durchhalten zu können. Trotzdem hört man sagen: „Ich pin Tzimbar!“

Die XIII Komoinen (Die Dreizehn Gemeinden)

Diese befinden sich in den Ljetzan Pergan (Lessinischen Bergen) nordöstlich von Verona. Bei den so genannten Dreizehn Gemeinden handelt es sich nicht um Gemeinden im herkömmlichen Verwaltungsbegriff, sondern um eine Gruppe von mehreren Siedlungsgemeinschaften. Heute befindet sich das kulturelle Zentrum in der Ortschaft Ljetzan-Giazza. Über das eigene Dorf heißt es in Zimbrisch: „Ljetzan ist a kliain dorf, un bo de laute reidan a taucia tzunghe.“ (Ljetzan ist ein kleines Dorf, wo die Leute eine deutsche Zunge reden.) Und die Bewohner sagen gern „Tzimbar lentak“, das Zimbrische lebt. Immer wieder findet man zimbrische Sprachformen.

Porträt Leonhard Dallasega Ortsansicht von Ljetzan-Giazza

„Madonna della Lobbia“ – Muttergottesstatue im Freien in den Lessinischen Bergen (Dreizehn Gemeinden)Im Dorfzentrum steht das zimbrische Kulturzentrum, das „Nest ume Tzimbar Gabizze“ (Haus um das zimbrische Wissen), in welchem man Wissenswertes über das Zimbrische erfahren kann. Dort ist die Kirche, das „haus ume heare gottas“, in einer engen Gasse findet man eine zimbrische Fachbibliothek, das „Puecharhaus“. Hier hat sich in den 1940er Jahren der deutsche Sprachwissenschaftler Bruno Schweizer aufgehalten, um das Zimbrische zu erforschen, zur selben Zeit hat hier auch Alfred Quellmalz – so wie in Südtirol – seine Ton- und Bildaufnahmen gemacht. In Ljetzan wird auch der Name des Südtirolers Leonhard Dallasega (1913–1945) immer wieder genannt. Dallasega, ursprünglich Andersag, stammt aus Proveis am Deutschnonsberg. Er war zwangsweise in die Waffen-SS eingegliedert worden und leistete in Caldiero, östlich von Verona, seinen Dienst.

Aufgrund seiner Zweisprachigkeit war er auch als Dolmetscher und Kurier eingesetzt und hatte möglicherweise auch Bekanntschaft in der zimbrischen Gemeinschaft im nahe gelegenen Ljetzan-Giazza gehabt. Gegen Kriegsende war der damalige Pfarrer von Ljetzan, Don Domenico Mercante, von den SS-Leuten beschuldigt worden, mit den Partisanen gemeinsame Sache gemacht zu haben. Über Don Mercante wurde deshalb das Todesurteil durch Erschießen verhängt. Leonhard Dallasega, Zwangsmitglied der Gruppe, die Pfarrer Mercante hinrichten sollte, weigerte sich, an der Exekution teilzunehmen. Dazu steht in den „Dolomiten“ vom 24. März 1995 Folgendes geschrieben: „Als er sich nach wiederholtem Befehl immer noch weigert, wird er vom Kommandanten gefragt, ob er so spreche, weil er Katholik sei. Ja, ich bin Katholik und habe Frau und vier Kinder, aber lieber sterbe ich, als auf einen Priester zu schießen."

 

„Madonna della Lobbia“ – Muttergottesstatue
im Freien in den Lessinischen Bergen (Dreizehn
Gemeinden)

Wegen der Befehlsverweigerung wird Leonhard Dallasega zum Tode verurteilt und muss noch ansehen, wie Don Mercante hingerichtet wird. Aufrecht, in mutiger Haltung, mit über dem Nacken gekreuzten Händen, wiederholt er fassungslos … "aber ich habe vier Kinder", dann fallen die tödlichen Schüsse. Ein weiterer Südtiroler also, der aufgrund seines Widerstandes gegen das Hitlerregime den Märtyrertod starb.

„Trombino“ (Böllerschütze) in den Dreizehn Gemeinden

„Trombino“ (Böllerschütze) in den Dreizehn Gemeinden

Eine Kuriosität aus den Dreizehn Gemeinden stellen die „trombini“ dar. Die entsprechende deutsche Bezeichnung könnte „Böllerschützen“ sein, in Österreich nennt man sie „Prangerschützen“. Die unheimlichen und seltsam geformten Böllerstutzen waren nie als Feuerwaffen tauglich, sondern waren einfach Vorrichtungen, um durch ohrenbetäubenden Lärm große Furcht und Angst zu verbreiten. Heute werden die „trombini“ bei bedeutenden Feiern und Festtagen eingesetzt und sind auch häufig im Ausland von Schützenverbänden zu Festen und Treffen eingeladen. Da haben wir ja die Parallelen zu unseren Böllern, die bei Prozessionen, kirchlichen Feiertagen und auch Hochzeiten geschossen wurden. Der Böllerstutzen wird in Heimarbeit hergestellt. Der Schaft besteht aus einem einzigen Stück Hartholz, meistens Nuss, der Lauf aus Metall. Besonders große Stutzen wiegen zwischen 40 und 50 Kilogramm. Geladen wird wie bei einem Vorderlader, bis zu 250 Gramm Schwarzpulver werden hineingestopft. Der Schuss erzeugt einen ohrenbetäubenden Lärm, eine mächtige Rauchwolke entwickelt sich, dem Rückstoß halten nur geübte und standfeste Schützen stand. Heute gibt es kein Zimbernfest ohne „trombini“, ohne die Böllerschützen.

Typisch für die Dreizehn Gemeinden sind auch die „colonnette“. Es handelt sich um steinerne Bildstöckchen, an die hundert Stück davon gibt es heute noch. Die ältesten stammen aus dem 16. Jahrhundert, neuere wurden erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts geschaffen. Sie stehen an Wegkreuzungen, irgendwo ganz allein im Freien, sind an Hauswänden angebracht oder stehen sonst irgendwo, wo das einfache Volk Zeichen seiner religiösen Überzeugung setzen wollte. Stilistisch erinnern sie sehr an die Reliefkunst der Langobarden, von denen ja auch heute noch manche Gelehrte die Zimbern ableiten. Erstaunlich vielfältig ist die kulturelle Aktivität der zimbrischen Gemeinschaft. Da genügt es, auf die zahlreichen wissenschaftlichen und fachbezogenen Veröffentlichungen neuerer Zeit zu schauen, Kulturzeitschriften und Sprachkurse gehören genauso zur kulturellen Tätigkeit wie die Pflege von Brauchtum. Ein überaus interessantes Buch ist das Wörterbuch mit dem Titel „Tau´c -Belisch/Belisch-Tau´c – iz gareida ’un geistar un ’un haute“ (Deutsch–Italienisch/Italienisch–Deutsch, die Sprache von gestern und heute). Auf 400 Seiten sind nicht nur zimbrische und italienische Vokabeln gesammelt, sondern es wird auch vergleichend hervorgehoben, wie einzelne zimbrische Wörter geschrieben werden können. Mehrere Varianten sind teilweise vorhanden. Beispielsweise findet man für das Wort „Kuhhirte“ folgende zimbrische Varianten: kuibbirt, kuegar, kuagiar, kuasjiar, kájar, kuejar. Oder für das Wort „Mädchen“ die Bezeichnungen diarn, dierla, diern, gi´c e, ki´c e. Strenge „deutsche“ Rechtschreibregeln lassen grüßen!

Zu erwähnen ist noch das internationale „Filmfestival della Lessinia“. Das zentrale Thema sind immer Berg und Minderheiten. Da ist es nicht verwunderlich, wenn auch Filme aus der Südtiroler Bergwelt vorgestellt wurden. Das Festival hat sich zu einem jährlichen Großereignis entwickelt. Im Gebiet der Dreizehn Gemeinden befindet sich auch die Ortschaft Bolca. Das dortige Fossilienmuseum genießt unter Fachleuten internationalen Bekanntheitsgrad. Und schließlich pflegen die Dreizehn Gemeinden enge Kontakte zu Benediktbeuern, denn Zimbern sollen auch von dort her stammen, natürlich auch zum Curatorium Cimbricum Bavarense in Landshut, zu den Freunden der Zimbern in Salzburg, zu Minderheiten im Alpenraum.

Ortsansicht von Lusern

Ortsansicht von Lusern

Lusern, das zimbrische Dorf in Welschtirol

Heimatmuseum „Haus von Prükk“ in Lusern„Bolkhent in lont von Zimbarn“, so wird man von der Ortstafel in Lusern begrüßt. Die zimbrische Sprachinsel Lusern ist in Südtirol die am meisten bekannte. Wer kennt sie nicht, die zahlreichen Schreibnamen „Nicolussi - jeder mit einem oder gar einem zweiten Schreibnamen dazu. So manche Südtiroler sind in dieses Dorf hingefahren und haben davon staunend berichtet. Die Sprache der Lusèrner ist nicht so archaisch wie die in den Sieben und Dreizehn Gemeinden, hier tauchen ziemlich viele Begriffe aus dem deutschsprachigen Raum auf, vielfach werden auch italienische Vokabeln irgendwie eingedeutscht, indem etwa ein „… arn“ angehängt wird: piantarn, kontarn, fermarn … (pflanzen, zählen, halten).

 

 

Heimatmuseum „Haus von Prükk“ in Lusern

Hier ist das kulturelle Leben sehr lebendig, denn das Dorf war nie so stark von der Außenwelt abgeschnitten gewesen wie die anderen zimbrischen Gemeinschaften. Unter Österreich hat es hier eine deutsche Volksschule gegeben, wenig später parallel dazu auch eine italienische.

Neue Straßenschilder in LusernIn Lusern haben auch mehrere Südtiroler Priester gewirkt. Denken wir etwa an Franz Zuchristian aus Eppan, an Johannes Steck aus Tschengls, an Josef Bacher aus Feldthurns, an Benjamin Vescoli aus Radein, an Johann Prinoth aus Kastelruth, an Josef Pardatscher aus Salurn, an Alois Aufderklamm aus St. Felix am Deutschnonsberg. Alle diese Priester haben sich um das kulturelle und gesellschaftliche Leben große Verdienste erworben. Josef Bacher hat die zimbrische Sprache eingehend erlernt und das Buch „Die Deutsche Sprachinsel Lusern“ verfasst. Dieses zählt heute noch zu den bedeutendsten Standardwerken über die Luserner Gemeinschaft. Lusern hat durch seine Einbindung in die Autonome Region Trentino-Südtirol auch so manche Chancen wahrgenommen, um als Sprachinsel erhalten zu bleiben. Es seien zwei besonders bedeutende Ereignisse erwähnt: 1. Bei der Abgabe der Streitbeilegungserklärung 1992 in Wien verabschiedete das dortige Parlament eine Empfehlung, laut welcher der deutschsprachigen Bevölkerung der Provinz Trient – somit auch den Fersentalern – dieselben Rechte zuerkannt werden mögen, wie sie den Südtirolern zustehen. 2. Und 2001 wurden im Zuge der Anpassung des Autonomiestatutes ausdrücklich Schutzmaßnahmen zugunsten der Zimbern – neben den Fersentalern und Ladinern – vorgesehen.

Wenn heute Lusern ein öffentlich-rechtliches Kulturinstitut hat, ein gut ausgestattetes Dokumentationszentrum, das jährlich von mehr als 10.000 Interessierten besucht wird, zudem ein gepflegtes Volkskundemuseum, eine Pinakothek mit zahlreichen Bildern, und wenn sonst noch Gelder der Region, der Provinz Trient und auch von sonst woher zur Verfügung gestellt werden, um den Menschen dort kulturell und wirtschaftlich unter die Arme zu greifen, dann braucht einem zurzeit nicht bange sein um den Erhalt der zimbrischen Kultur. Natürlich hängt viel von der Gemeinschaft und ihren führenden Köpfen ab, wie stark sie sich mit der eigenen Identität solidarisieren, wie stark sie ein neues Selbstbewusstsein aufbauen können, wie überzeugt sie sind, für den Fortbestand ihres Soseins zu kämpfen, ohne den Anschluss an die so genannte Außenwelt zu verlieren.
Gerade dieses neue Selbstbewusstsein stellt man in Lusern in wachsendem Maße fest. An vielen kleinen Dingen merkt man das: an der Menge von Fachpublikationen, am Gebrauch der Sprache im Alltag, im Gasthaus, mit Kindern und auf dem Dorfplatz, an ortsüblichen Toponymen an Straßen und Plätzen, in der Tageszeitung, in welcher allwöchentlich eine ganze Seite in Lusernarisch geschrieben steht (Di sait vo Lusèrn), im Fernsehen, das alle zwei Wochen Sendungen in Lusernarisch (Zimbar earde) ausstrahlt. Schließlich wird in der Schule – sie ist jetzt im Nachbardorf Lafraun-Lavarone angesiedelt – Zimbrisch unterrichtet, nicht nur für die Luserner Kinder, sondern auch für deren italienischsprachige Mitschüler. Selbstverständlich gibt es auch hier ein neues Wörterbuch, in welchem die Sprache kodifiziert ist, damit man Anhaltspunkte für die schriftliche Sprachform hat, damit man inzwischen vergessene Begriffe wieder finden und verwenden kann, damit die Sprache wachsen kann. Und es lebt hier auch ein Heimatdichter, der über „a schümma klumma doarf“ (ein schönes, kleines Dorf) zu schreiben versteht.
In den letzten Jahren hat in Lusern eine erfreuliche Entwicklung eingesetzt: Die Bevölkerungszahl nimmt wieder zu. Das bedeutet nichts anderes, als dass die Abwanderung wegen fehlender Arbeitsmöglichkeiten gestoppt ist. Das Dorf scheint daher in der Tat eine „Lebendige Sprachinsel“ zu sein. So erklären sich auch der Titel der eingangs erwähnten Musikkassette und der Titel dieses Berichtes: „Biar soin Cimbarn.“